Montag, 5. Februar 2007

Sentimental journey

Ich bin in Wilhelmsburg groß geworden. Das ist der Hamburger Stadtteil in dem Kampfhunde kleine Jungen tot beißen. Man nennt das heute auch sozialen Brennpunkt mit extrem hohem Ausländeranteil

Meine Eltern wohnten 35 Jahre in Wilhelmsburg. Damals kam die Wirtschaft so richtig in Schwung, die Arbeiter brauchten neuen, nicht zu teuren Wohnraum. So entstand Mitte der 60er unser Arbeiterviertel als eines der moderneren Sorte. Den meisten Leuten ging es relativ gut. Man konnte sich das erste Auto leisten, man fuhr nach Österreich, später dann nach Italien und Spanien in den Urlaub und ich ging mit den vielen anderen Arbeiterkindern in die Grundschule. Dort hatten wir auch einen Ausländer: Einen Italiener. Vor allem aber hatte ich eine der verständnisvollsten Lehrerinnen meiner gesamten Schullaufbahn.

Wilhelmsburg war damals (und st es in Teilen auch noch heute) recht schön. Man konnte auf der "Drachenwiese" noch mitten in der Stadt einen Drachen steigen lassen. Es gab zahlreiche Teiche auf denen man im Winter Schlittschuh laufen konnte und im Sommer kleine Frösche beobachten konnte. Den meisten Menschen ging es relativ gut.

Heute, so sagt man, regiert Hass und Gewalt den Stadtteil. Die Kids in dem nahe gelegenen Hochhaus-Ghetto "Kirchdorf Süd" kennen das Wort "Respekt" nur noch aus ihren Rapper-Songs. In der Realität haben sie ihn längst verloren. Überfälle, so ließt man, sind an der Tagesordnung. Hat sich wirklich so viel geändert?

In unserem Haus wohnte eine Familie, die heute zu den Hartz 4.-Empfängern gehören würde. Ein Sohn lief eines Abends auf die Straße, riss die Tür eines dort gerade haltenden Taxis auf und erstach die darin sitzende Frau.

Zwei Eingänge weiter wohnte "Goldi", der es zu einer kleinen Schauspielerrolle in Hark Bohms "Nordsee ist Mordsee" gebracht hatte. Wir gingen zusammen in die Grundschule und schon damals hatte der Kerl nur Schlägereien im Kopf. Er starb mit ca. 30 an einer Überdosis.

Oder der Vater eines Mitschülers im Haus gegenüber. Eines Tages hängte sich der schon lange arbeitslose Vater zweier Kinder in der Wohnung auf.

Auch Banden gab es damals, die hießen zwar nicht "Old Place Gangsters" sondern "Hochhausbande", aber man begegnete auch ihnen besser nicht alleine. Da war das Taschengeld schon mal weg.

Also: früher war doch nicht alles besser. Aber irgendwie doch. Ich habe das absurde Gefühl, die Gewalt war damals noch etwas unschuldiger, wenn das überhaupt geht. Vielleicht empfinde ich das aber auch nur so, weil ich mehr oder weniger damit in Berührung kam. Wenn ich die Horrormeldungen von heute lese, bin ich oft nur noch sprachlos.

Und doch, ich habe gerne in Wilhelmsburg gelebt.

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